Erinnerung an die Befreiungskriege

Geschichte

Rede am Denkmal in Rahnsdorf (Foto: Stefan Förster)

Krieg in Europa, Hass, Nationalismus - das sind die Schlagworte, die sich mit den Befreiungskriegen in Europa vor 200 Jahren verbinden lassen, verbinden müssen. In Rahnsdorf gedachte ich mit dem Verein "Bürger für Rahnsdorf" am dortigen Denkmal an die Befreiungskriege, aber vor allem an die Formen der Erinnerung.

Die Befreiungskriege begegnen uns allerorten in Deutschland und sind doch in ihrer Erinnerung verblasst, ja fast vergessen. Die Monumente dieses Krieges gegen die napoleonische Herrschaft in Deutschland kennen wir: das berühmte Völkerschlachtdenkmal bei Leipzig zum Beispiel. Doch wer ahnt schon, dass der Kreuzberg in Berlin 1821 als „Nationaldenkmal zur Erinnerung an die Befreiungskriege“ errichtet wurde. Der ein oder andere Kreuzberger hätte – dies vergegenwärtigend – wohl schon längst gefordert, den Kreuzberg abzutragen und nicht mehr an den Krieg zu erinnern. Und doch: die Erinnerung ist allerorten, damit sind neben den Monumenten auch Miniaturen gemeint. Miniaturen wie die gelegentlich noch vorhandenen Namenstafeln in alten Kirchen, die an die gefallenen Gemeindemitglieder aus der Zeit der Befreiungskriege erinnern. Diese Tafeln stehen neben den Namenstafeln für die Opfer des Ersten und die des Zweiten Weltkrieges. Und sie stehen dort richtig, denn es ist allemal eine Erinnerung wert: eine Erinnerung an die Toten der Befreiungskriege. Man muss aber auch daran erinnern, wer diese Namenstafeln initiiert hat: es ist nicht einfach die Kirche, nein, der König dafür gesorgt, dass diese Erinnerung in die Kirchen kam.
Und so kam der Krieg – die Erinnerung an die Toten – in alle Orte, obwohl sie keine Kriegsschauplätze waren. Rahnsdorf gehört auch zu diesen Erinnerungsorten: hier wurde keine Schlacht geschlagen, höchstens ein erinnerungspolitisches Gefecht ausgetragen, allerdings mit 100 Jahren Verspätung.
Hunderttausende Menschen waren in Europa in den Krieg gezogen, um für oder gegen eine Vorherrschaft in Europa zu kämpfen. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war 1806 untergegangen, der französische Herrscher Napoleon Bonaparte zog als Eroberer durch Europa und wollte den Kontinent bis zum Russischen Reich beherrschen.
Die französische Besatzung löste vermutlich zum ersten Mal etwas aus, was man eine neue Tugend im Krieg nennen könnte: den Widerstand, den individuellen Widerstand. Daraus entwickelte sich mit den Befreiungskriegen eine Volksbewegung, die jedoch wieder in alten kriegerischen Auseinandersetzungen endete.
Das Volk war gespalten – die einen sahen die Franzosen als diejenigen, die revolutionär Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit über die französische Grenze trugen, andere sahen in ihnen nur Eroberer. Immer mehr meldeten sich freiwillig zum Krieg gegen die französischen Besatzer. In Preußen waren es bis 1814 allein 28000 Menschen. Viele von ihnen waren regelrecht hasserfüllt gegenüber den Franzosen. Im Frühjahr 1813 wurde die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. König Friedrich Wilhelm III. forderte in einem Aufruf „An mein Volk!“ zum Kampf auf.
Zu diesem Zeitpunkt gab es in Berlin und Umgebung keine Franzosen mehr. Sie waren Anfang März 1813 den einmarschierenden russischen Verbündeten gewichen. Frankreich verlor im Laufe der folgenden Monate immer mehr Verbündete, musste an mehreren Fronten kämpfen, während die Alliierten gegen Napoleon Bonaparte erstarkten. Die Entscheidungsschlacht begann bei Leipzig am Samstag, dem 16. Oktober 1813 und nach zwei Tagen war das französische Kaiserreich besiegt. In einer beispiellosen Schlacht waren insgesamt eine halbe Million Soldaten verwickelt, von denen viele nicht mehr in ihre Heimat zurückkehrten.
Mit der territorialen Neuordnung auf dem Wiener Kongress wurden – insbesondere durch die Stärkung Preußens – Grundpfeiler für ein neue Großmacht mit allen Konsequenzen gesetzt: das Deutsche Reich, wie es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gebildet wurde. Der Weg zu einem starken Kaiser und einem schwachen Volk wurde weiter beschritten.
Zum 50. Jahrestag der Befreiungskriege wurde noch zusammen der greisen Kämpfer gedacht, aber auch die territoriale deutsche Zersplitterung kritisiert. Die Erinnerung an den Mut und die Opferbereitschaft der Soldaten gegen die französische Besatzung wich, ein blühendes Reich und die Kaiserkrone standen im Mittelpunkt.
Im Jahre 1913 fanden überall im Deutschen Reich Hundertjahrfeiern zur siegreichen Schlacht bei Leipzig statt. Es wurden Gedenksteine gesetzt und „Kaiserlinden“ gepflanzt. Bei diesen Feiern verschob sich die Erinnerung endgültig dahingehend, dass nach dem Sieg über Napoleon der Aufstieg Preußens zur Großmacht ermöglicht wurde. Deutschlands Einigung nach dem Krieg gegen Frankreich 1871 gehört zu den zu diesem Zeitpunkt absolvierten Wegmarken – und das Reich befand sich schon am Vorabend des Ersten Weltkrieges.
Die vielfach gesetzten Gedenksteine enthielten meist nur die beiden Jahreszahlen 1813 und 1913, dazu häufig das schwarze Kreuz Preußens. Die Namen der Kriegsteilnehmer, ja sogar der direkte Hinweis auf die Entscheidungsschlacht im Jahre 1813 blieben unberücksichtigt.
Auch bei diesem Gedenkstein in Rahnsdorf ging es nicht um die Kriegsteilnehmer – sondern um „100 Jahre preußische Geschichte“. Aus einfachen märkischen Findlingen verschiedenster Größe und einem obersten Stein mit der Inschrift „1813-1913“ wurde am Blücherplatz ein Denkmal geschaffen.
Bei der Einweihung dieses Gedenksteines ging es nur um den Kaiser, um die Macht des Kaisers. Die Enthüllung fand am Geburtstag des Kaisers am 24. Januar 1914 statt. „100 Jahre preußische Geschichte“ war im übrigen auch eine Geschichte der Kriege, an die damals schön hätte erinnert werden können. Heute sollte auf jeden Fall an dieser Stelle an die Menschen und ihre Leben erinnert werden, die geopfert wurden.
Mein Dank gilt dem Verein Bürger für Rahnsdorf und den Sponsoren, die 2009 die Erneuerung des Denkmals ermöglicht haben und heute erneut an die Geschichte der Befreiungskriege erinnert haben.
Dieses Denkmal holt die verblasste Erinnerung an die Befreiungskriege und deren Opfer in unser Bewusstsein zurück, steht als Miniatur gegen die gewaltigen bekannten Monumente und mahnt uns, die Jahrhunderte der Kriege in Europa in Erinnerung zu halten und Frieden zu schätzen, den wir heute haben. Und so haben eben doch alle Erinnerungsmale, ob klein oder groß allerorten ihre Berechtigung, ja sogar mehr als das: eine Daseinsberechtigung, die von uns allen mit Leben erfüllt werden darf und muss.